Deutscher Frauensicherheitsrat, Womnet, Forum Menschenrechte und Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung fordern anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen:
Die Bundesregierung muss Druck ausüben, damit Kriegsverbrecher in Afghanistan bestraft werden
Straflosigkeit zerstört Gesellschaften von innen
Die Situation in Afghanistan verschlimmert sich immer mehr. Die Sicherheitslage ist katastrophal, Gewalt, Armut und Verelendung greifen um sich. Beim deutschen Engagement in Afghanistan spielen militärische Aspekte die Hauptrolle, während der zivile Aufbau genauso ins Hintertreffen gerät wie die Debatte über die Ursachen der Verzweiflung in der Bevölkerung. Dabei ist ein Grund mit Händen zu greifen: das Amnestiegesetz, das die Regierung unter Präsident Hamid Karsai im März 2007 erlassen hat. Allen Kriegsverbrechern der letzten 28 Jahre, ob innerhalb oder außerhalb der Regierung, wurde Straflosigkeit garantiert. Um die Ungeheuerlichkeit dieses Gesetzes zu kaschieren, ließ Karsai es in einem Punkt ändern: Privatpersonen dürfen nunmehr vor Gericht Anklage gegen Kriegsverbrecher erheben. Wer aber als Privatperson wagt, die mächtigen Warlords und Drogenbarone herauszufordern, riskiert sein Leben. Und viele Richter sind entweder korrupt oder fundamentalistisch eingestellt oder sie sind nicht vorhanden – von vielen ist keine Hilfe zu erwarten. Die zahllosen Massenvergewaltigungen und anderen Kriegsverbrechen, die die heute in der Regierung sitzenden Warlords der „Nordallianz“ begangen haben – zum Beispiel die Zerstörung von Kabul und die Tötung von rund 65.000 Menschen Anfang der 90er Jahre – werden auf diese Weise ungesühnt bleiben. Für die afghanischen Frauen, in deren Namen angeblich das Land befreit wurde, ist das besonders schlimm.
Wir fordern die Bundesregierung dringend auf, politischen Druck auf die Regierung Karsai auszuüben, damit der Skandal der Straflosigkeit ein Ende findet. Der gepeinigten Bevölkerung raubt er die Hoffnung auf Gerechtigkeit und auf Veränderung ihrer Lage. Straflosigkeit belohnt Verbrecher und Verbrechen. Straflosigkeit lädt dazu ein, weitere Verbrechen zu begehen. Straflosigkeit zersetzt jede Moral. Straflosigkeit beschleunigt und vervielfacht den Zyklus der Gewalt. Straflosigkeit nimmt den Opfern jede Lebenskraft und zerstört ihre Identität. Das gilt ganz besonders, wenn es um Akte sexualisierter Kriegsgewalt ging.
Gerade wir Deutschen sollten hier eine besondere Sensibilität und Verantwortung zeigen. Zahllose Nazi-Täter durften in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit ungestraft ihre Beamtenkarrieren fortsetzen, während die überlebenden Opfer vergeblich darauf warteten, dass das ihnen angetane Unrecht endlich öffentlich anerkannt würde. Viele Verwerfungen der Nachkriegsgeschichte, unter anderem den RAF-Terrorismus, kann man ohne diese Straflosigkeit nicht verstehen.
Zudem verletzt das Amnestiegesetz die afghanische Verfassung oder zumindest ihren Geist. In Artikel 3, § 72 ist geregelt, dass politische Ämter nur von Personen ausgeübt werden dürfen, die einen „guten Ruf“ haben und nicht „wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt worden sind. Davon kann bei den Warlords keine Rede sein.
Die Bundesregierung ist eine der wichtigsten internationalen Geldgeber in Afghanistan, sie hält wirksame Druckmittel in der Hand. Wir fordern sie dringend auf, alles für ein Ende der Straflosigkeit zu tun. Das Amnestiegesetz muss fallen, die Justiz muss aufgebaut und demokratisiert werden, die Rechte der Menschenrechtskommission müssen gestärkt werden, es muss ein echter Wahrheitsfindungs- und Versöhnungsprozess in der Gesellschaft begonnen werden. Den Warlords darf es nicht länger erlaubt sein, die Zukunft des Landes zu kidnappen.
Diese Erklärung, unterzeichnet vom Frauensicherheitsrat, Womnet, dem Forum Menschenrechte und dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung, wurde heute an Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier geschickt.
Nähere Informationen über die Organisationen unter www.frauensicherheitsrat.de, www.glow-boell.de, www.womnet.de und www.forum-menschenrechte.de.