Quassologie
Mobiltelefone sind nicht gesundheitsgefährdend, sagen Wissenschaftler jetzt, obwohl das Langzeit-Experiment an lebenden Menschen ja noch nicht abgeschlossen ist. Krebs entsteht oft erst nach 30 Jahren, und Massen-Quassologie dieser Art findet erst seit 10, höchstens 20 Jahren statt. Aber seien wir nicht kleinlich, ist ja nur ein Großversuch. Inzwischen gibt es rund 100 Millionen Geräte auf etwa 82 Millionen Bundesbürger – woraus man schließen kann, dass 18 Millionen alleingelassene Handys wahrscheinlich heimlich miteinander telefonieren. Die restlichen 82 Millionen haben sich längst zusammengeschlossen, um per Dauer-Lärmbelästigung an öffentlichen Orten die Volksgesundheit zu untergraben und jede Theateraufführung und jedes Konzert nachhaltig zu versauen. Von den zahllosen Unfällen schon gar nicht reden, die nicht nur quasselnde Autofahrer verursachen, sondern auch SMS-tippende Kinder, die beim Gehen stieläugig auf ihren Display starren. Inzwischen soll es Jugendliche geben, die nicht mehr wissen, wie man ohne Handy miteinander reden kann. Aber Gesundheitsgefahren? Ham wa nich.
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Der Wahnwitz der Welt (13)
Doofologie
Man staunt ja immer wieder, was es für Wissenschaftsgebiete gibt: Allgemeine Topologie, Balkanologie, Byzantistik, katalanische Philologie, Mediävistik, Nephrologie, Parasitologie, Pulmologie… Auf dem Wissenschaftsmarkt findet sich für jeden exzentrischen Geschmack etwas. Doch ein Spezialgebiet von übergeordneter Wichtigkeit fehlt geradezu schmerzhaft: die Wissenschaft, die Ausmaß und Funktionsweise der menschlichen Dummheit erforscht, die Bobologie, von spanisch „bobo“, doof. Die Dummheit – ist sie nicht allumfassend und weltenumspannend? Hat sie nicht längst alle Wissensgebiete heimtückisch durchdrungen, Politik und Wirtschaft unterwandert und viele Bereiche des Lebens? Wir müssen nur auf einen gewissen Gast aus Übersee schauen, den die Kanzlerin gerade im Schloss Meseberg empfing. Die Unreife quillt ihm aus jedem Knopfloch. Juvenile Grinseritis im Gesicht, läuft er wie Django, der zu viel in der Blase hat. Mit pubertärer Militanz versucht er der Welt und besonders seinem Papa klar zu machen, wie wichtig er ist. Jetzt erzählt er, dass der Iran die größte Gefahr für den Weltfrieden ist – dabei ist er es selbst. Ein klarer Fall für die Bobologie.
Der Wahnwitz der Welt (12)
Kamelkarawanen
Jüngst ritt ein Oberbayer in München auf einem Kamel in den Knast, um kundzutun, dass in den Behörden „viele Esel oder Kamele sitzen müssen“. Um ein unbezahltes Knöllchen von 25 Euro einzutreiben, hatte man ihn zu eintägiger Haft verurteilt, die den Steuerzahler 140 Euro kostete. Dieser tapfere Bayer verdient Nachahmung! Zum Beispiel bei dem Vorhaben von Energiekonzernen und Bundesregierung, die Klimakatastrophe mit 26 neuen Kohlekraftwerken zu beschleunigen und Deutschland hitzemäßig in Klein-Dubai umzuwandeln. Das ist eine ganze Kamelkarawane wert, die man vor die Tore von Vattenfall & Co treiben könnte. Oder der Export von Mord&Totschlag, verschämt Rüstungsgüterausfuhr genannt: Kleinwaffen und Streubomben machen Deutschland zum weltweit drittgrößten Rüstungsexporteur und heizen andernorts Kriege an. Das wären mindestens drei Eselherden, ein Esel für jeden Abgeordneten, der das nicht verhindert hat. Ach, was für ein weites Arbeitsfeld! Das Regierungsviertel würde zum Freilandzoo. Selbst die Rindviecher, die man gerade zur Milchproduktion nicht mehr braucht, hätten eine neue Berufsperspektive.
Der Wahnwitz der Welt (11)
Jubilophobie
Leiden Sie langsam auch an Jubilophobie? Schon das ganze Jahr 2007 wurden 40 Jahre Studentenrebellion abgefeiert, dieses Jahr sind es 40 Jahre 68-er, nächstes Jahr haben wir zu erwarten: 40 Jahre Ende der Revolte, 40 Jahre Mondlandung, 40 Jahre Woodstock, 40 Jahre Heirat zwischen John Lennon und Yoko Ono und „Spiel mir das Lied vom Tod“– da sieht man doch, wie das alles endet. Des weiteren arbeitet unsere Zunft schon jetzt eifrig an den folgenden, 2009 erscheinenden Artikeln: 100 Jahre künstlicher Kautschuk, 100 Jahre Postschecks, 100 Jahre Willy Millowitsch, 200 Jahre Scheidung zwischen Napoleon I. und Joséphine, 250 Jahre Erfindung des Rollschuhs, 250 Jahre Fluidums-Hypothese. Sie wissen nicht, was das ist? Sie haben es gefälligst zu wissen! Und weil das alles immer noch nicht reicht, erinnern Medien wie geschätzte Magazin „Spiegel-Online“ zwischendurch an Themen wie „10 Jahre USB-Stick“. Vorschlag an meine Journalistenkollegen: Speichert all eure jubilatorischen Ergüsse auf besagtem USB-Memorystick und schießt ihn in Erinnerung an 40 Jahre Mondlandung auf den Erdtrabanten.
Der Wahnwitz der Welt (10)
Tierisches Treiben
Der Mai ist gekommen, die Tiere schlagen aus. In der Nähe der Antarktis vergriff sich jüngst ein Seebär bei der Partnerwahl. Die runde hundert Kilo schwere Robbe bedrängte einen gerade mal fünfzehn Kilo leichten Königspinguin. Der Vogel empfand das Liebeswerben bei 85 Kilo Gewichtsunterschied nicht so lustig. Am Ende gab der Gewichtigere doch nach und ging schwimmen. Die Biologen, die das Treiben beobachteten, staunten. Von schwulen Pinguinen und Seeadlern hatten sie schon gehört, auch von lesbischen Delfinen, aber dass ein Säugetier einen Vogel zu vögeln versucht, war ihnen so neu, dass sie aufgeregt einen wissenschaftlichen Aufsatz verfassten. Aber vielleicht hätten sie sich vorher in Münster umhören sollen. Daselbst verliebte sich auf dem Aasee vor zwei Jahren die schwarze Schwandame Petra in ein großes weißes Tretboot und wich ihm nicht mehr von der Seite. Doch ach, wir leben in treulosen Zeiten: Vor etwa zwei Monaten fand Petra einen neuen weißen Partner, einen Höckerschwan. Sie bauten gar schon fleißig an einem Nestlein, da verließ er sie. Und Petra, nunmehr in Trauerschwärze gekleidet, wurde von mitleidigen Müsteraner zurück zu ihrem Tretboot gebracht.
Der Wahnwitz der Welt (9)
Tor(en) der Freiheit
Es gibt Momente, da erlebt man Berlin als Fleisch und Stein gewordene Utopie. Solch ein Moment spielte sich in den Pfingsttagen vor dem Brandenburger Tor ab, das schon so viele Szenen deutsch-militaristischen Größenwahns erlebt hat. Offenbar hatten sich dort alle Verrückten dieser Welt verabredet – zum denkbar friedlichsten Stelldichein. Rechts vom Tor, begleitet von Trommelschlägen, bogen goldfarben gekleidete Mädels von Falun Gong ihre Knochen zum Lotussitz und demonstrierten gegen den chinesischen Kommunismus – oder was von ihm übrig blieb. Links dankte die FDJ – oder was von ihr übrig blieb – für die Befreiung am 8. Mai 1945 lautstark den Sowjets – oder was von ihnen übrig blieb. In der Mitte der Szene demonstrierte ein Sensenmann in einer Gruppe von Hertha-Fans – für was eigentlich, für den Abstieg von Hertha? Dahinter bauten sich für ein Gruppenfoto grünuniformierte Volksarmisten auf – oder was von ihnen übrig blieb. Und dann – „Indianer!“, schrie mein Begleiter. Fünf Stück, in voller Kriegsbemalung. Sie legten ihre Pfeile an – ich fiel sterbend vom Rad. Vor Lachen.